Oder: Angst und Panik (bekommen und verlieren) mit Hypnose
„Spannender Untertitel – aber warum sollte mensch sich hypnotisieren (lassen), um Angst und Panik zu BEKOMMEN?“
Sehr gute Frage! Denn oft werden Angst und Panik durch unbewusste Autosuggestion selbst erzeugt. Wahrscheinlich ist das neben Suggestion durch Andere sogar der typische Weg. KeineR bekommt ja Angst mit Absicht.1 Es passiert einem in der Regel aus Versehen. Wie mir das selbst einmal „gelungen“ ist und wie ich es geschafft habe, die Panik mittels bewusster Autosuggestion wieder loszuwerden, erzähl ich hier.
Das erste Mal hypnotisiert habe ich mich – noch ohne zu wissen, wie Hypnose freilich geht – an dem Tag nach dem Abend, an dem mir mein Bandkollege Maik* eine Panikattacke beschrieben hatte. Wir kamen gerade von einem Frühlingskonzert (das wir gegeben hatten) und tranken noch ein Bier in einem verräucherten Büchercafé in Dresden. Wir waren noch nicht lange in einer Band und ich fand es interessant, ihn nicht nur als Gitarristen sondern auch als Menschen kennenzulernen.
Im Laufe unseres Gespräches erzählte er mir auch, dass er vor zwei Jahren in einer Lebenskrise war, in der er oft Panik-Attacken erlebte, z.B. beim Straßenbahnfahren oder in engen Räumen.
Ein paar Tage vorher war meine Oma sehr krank geworden. Am Morgen nach dem Kneipen-Gespräch mit Maik fuhren meine Eltern und ich nach Suhl um meine Oma im Krankenhaus zu besuchen. Die Autobahn duchschneidet den Thüringer Wald, überquert Schluchten und durchtunnelt mächtige Felsenberge. Im ersten dieser Tunnel dachte ich: „Das wäre jetzt also so eine Situation in der mensch eine Panik-Attacke bekommen könnte.“ Es dauerte keine Sekunde und ich hatte aus heiterem Himmel eine ausgewachsene Vertreterin davon am Hals. Meine erste. Dennoch wusste ich, was los war: es ging mir hundsmiserabel und es fühlte sich so an, wie das was mir Maik am Vorabend geschildert hatte.
Ich hatte riesige Angst, dass der Tunnel einstürzt, sagte das meinen Eltern und bat sie, sich mit mir zu unterhalten. Sie gaben mir erstmal was zu trinken und versuchten mich zu beruhigen. Das half, aber die Panik verschwand erst, als wir den Tunnel auf der andern Seite des Berges wieder verließen. Und sie kam in voller Stärke wieder, als wir in den nächsten einfuhren…
Mein nächster Gedanke war „Expositionstherapie!“. Also tauschte ich mit meinen Vater auf dem nächsten Parkplatz den Platz am Lenkrad und fuhr die restliche Strecke inklusive der Tunnel, die da noch kommen sollten, ganz mutig selber.
So war mein Plan. Als der nächste Tunnel vor uns auftauchte, merkte ich nämlich, dass ich unmöglich hineinfahren konnte. Die Angst vor meiner nächsten Panik-Attacke (wie ich später erfuhr, ist das eine typische Kombination bei Panik-Attacken: die Angst vor der Angst) war zu groß. „Was, wenn ich in Panik eine Vollbremsung mache? Was, wenn ich im Tunnel das Bewusstsein verliere? Was, wenn ich irgendwo gegenfahre und der Tunnel zusammenbricht?“ Ich fuhr auf den Standstreifen, tauschte wieder mit meinem Vater und bibberte mich durch den letzten Tunnel an unser Ziel.
Ich weiß bis heute nicht genau, was zwischen dem Gespräch mit Maik am Vorabend und dem ersten Tunnel passiert ist. Aber wie meine Oma, der unser Besuch damals sehr gut getan hatte, oft zu sagen pflegte:
„Die Wege des Hirns sind unergründlich!“
Oma
Mit allem, was ich heute über Hypnose weiß, glaube ich, dass sich mein Gehirn im Unterbewusstsein die Schilderungen von Maiks Panik-Attacken gemerkt und über Nacht noch ein wenig mit dem Konzept der Krise verbunden hat. Die Erkrankung meiner Lieblingsoma hat mich sehr traurig gemacht. „Was, wenn Oma stirbt?“ Fragen zum Tod geliebter Angehöriger können uns ordentlich aus dem Konzept bringen. Für mich hat das als Krise gereicht, dass ein Tunnel (vergleichbar mit den von Maik geschilderten engen Räumen) eine Panik-Attacke auslösen konnte.
Wie ging es weiter? – Am nächsten Tag fuhren wir zurück. Oma musste noch im Krankenhaus bleiben, keineR wusste so richig, wie es weitergehen würde. Ich panikte im ersten Tunnel. Ich panikte im zweiten Tunnel. Ich hatte sowas von die Schnauze voll von diesen Paniken (sie sind sehr, sehr unangenehm und kraft-raubend), dass ich mir sagte: „Wenn Du sie nicht schlagen kannst, dann interessiere dich für sie!“. Also versuchte ich die Attacke beim nächsten Tunnel zu ergründen. Dazu führte ich eine Art Interview mit mir:
Q: Okay, wo im Körper spüre ich die Panik-Attacke? – A: In den Beinen.
Q: Aha. Wie fühlt sie sich an? – A: Wie Beton. Und sie steigt in Blitzesschnelle von den Beinen in den Oberkörper.
Q: Oh, das ist ja interessant. Und die nächste Frage ist vielleicht etwas ungewöhnlich für Sie, aber wenn die Attacke ein Tier wäre, welches wäre es? – A: Mmhh … ein schwarzer Panther vielleicht, der mich anspringt? (Foto: Public Domain)
Ich weiß nicht, woher ich diese Fragen damals genommen habe (Hatte ich vorher mal ein Selbsthilfebuch dazu gelesen? Etwas Ähnliches in einem Yoga-Kurs oder beim Gesangsunterricht gehört?) aber sie waren genau, was ich brauchte. Durch dieses Erforschen meiner Panik-Attacke:
- stand mir plötzlich einE interessierteR ReporterIn zur Seite und ich war in der Panik nicht mehr allein
- war ich mit etwas Anderem beschäftigt (mit dem Beantworten der Fragen – und mit dem Stellen auch)
- hatte ich mich vom puren Erleben der Attacke entfernt (ich hatte sozusagen Abstand zwischen die Panik und mich gebracht)
- bin ich zum Experten für meine Panik-Attacke geworden.
Diese Kombi sorgte bei mir dafür, dass ich im nächsten Tunnel immer noch Nervosität spürte, den schwarzen Panther zum Sprung bereit und seinen Schweif hin und her schlagen sah. Aber die Panik war nicht mehr da. Nur noch sehr viel Respekt vor ihr.
Hypnose kann verstanden werden als Konzentrieren auf ein Phänomen, z.B. ein Erleben, ein Wunsch oder ein Gefühl mit dem Ziel, eine hilfreiche Wirklichkeit zu erzeugen. Hypnose kann bewusst oder unbewusst geschehen. Mensch kann sich selbst hypnotisieren und/oder sich von anderen anleiten lassen. Vielleicht hat mein Gehirn schon während des Gesprächs mit Maik oder später im Traum unbewusst „Panik-Attacke“ mit „Lebenskrise“ und „enger Raum“ verbunden. Beim Durchfahren des Tunnels wurde diese Verbindung dann feierlich eingeweiht und bei jedem weiteren Tunnel ein wenig vertieft.
Als ich mich dann während der Rückfahrt für meine Panik-Attacke zu interessieren begann, konnte ich bewusst einen Abstand zwischen die Panik-Attacke und mich „er-konzentrieren“. Von Hypnose hatte ich damals freilich noch nicht viel gewusst. Vielmehr halfen mir vermutlich unwillkürlich erinnerte Tipps aus dem „Selbsthilfediskurs“, wie die Idee mit dem Erforschen der Angst und Glaubenssätze wie „die Panik ist der Feind“ und volkstümliche Vorstellungen von Heilung und Umgang mit Feinden wie „es ist gut, seine Feinde zu kennen“. Durch meine Versuche, diese Ideen umzusetzen und die dabei entstandenen Bilder, wurde die Verbindung „Panik-Attacke“ und „Tunnel“ immer dünner und durch neue Verbindungen („Tunnel“-„Schwarzer Panther“) ersetzt. Mittlerweile ist die Verbindung Panik-Tunnel für mich gekappt. Ich kann allerdings nicht für den Tunnel sprechen.
Wir Menschen können uns hin und wieder aus Versehen und unbewusst ein Problem „anlachen“. Genauso streifen wir viele solcher Probleme auch mühelos und unbewusst wieder ab. Diese Fähigkeit ist ein Teil unserer natürlichen mentalen Selbstheilungskräfte: ähnlich wie mensch sich im Alltag hier und da mal einen blauen Fleck oder Kratzer holt, der von allein wieder heilt. Bei einem größeren Problem, einem Beinbruch z.B., kann das Hinzuziehen von ExpertÏnnen die Heilung dann allerdings verbessern und beschleunigen.
Seit der Verwandlung meiner Panik in einen schwarzen Panther hatte ich keine Panik-Attacke in Tunneln mehr. Und da ich Flugzeuge und Investitionen in Bitcoin vermeide, auch nirgendwo anders. Tunnel find ich immer noch spannend. Vor allem weil sie mir Gelegenheit geben, ein wunderschönes Raubtier von Nahem zu sehen, das in der Ecke sitzt und an einem Knochen kaut. Vielleicht werd ich es in einer künftigen Hypnose mal ausführlicher besuchen.
*) Name geändert
Fußnoten:
- Wobei manche Menschen oder Institutionen anderen Menschen absichtlich Angst machen. Danke für die zahlreichen Beispiele dafür, liebe BILD-Zeitung! (Analysen der angsterzeugenden Suggestionen durch die BILD siehe: z.B. Vogtel 1986: „Die Gefühle der Bild-Zeitung“ oder Jansen 2021: „Feindbilder in der BILD-Zeitung?“ oder Schönauer, Tschermak 2021: „Ohne Rücksicht auf Verluste: Wie Bild mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet“) ↩︎
Mein Name ist Torsten Philipp. Ich bin zertifizierter Hypnose-Coach, Hypnosystemischer Berater und Therapeut, Diplom-Sozialpädagoge, Heilpraktiker auf dem Gebiet der Psychotherapie, Musiker und vieles mehr.
Ich biete Hypnose und Hypnosystemische Beratung und Therapie in Leipzig zu großen und kleinen Lebensthemen an. Nehmen Sie gerne Kontakt mit mir auf..
richtig schön, berührend und gleichzeitig unterhaltsam dargestellt!
Liebe Grüße!
Susann
Vielen Dank für Dein freundliches Feedback, Susanne!